Jede Praxis sollte auch Parodontal-Spezialist sein

In keinem Fachgebiet der Zahnmedizin ist so viel Bewegung wie in der Parodontologie, was die wissenschaftlichen Fortschritte durch die Grundlagenforschung betrifft. Im Zeitalter der Biotechnologie stellt die Zukunft der rekonstruktiven Parodontologie besondere Herausforderungen. In keinem anderen Fach gilt aber so sehr auch – um mit den amerikanischen Kollegen zu sprechen: „The future is bright“.

img_01112010Fast 80 % aller Erwachsenen weisen eine Gingivitis auf, nur 15 % können mit entzündungsfreien parodontalen Verhältnissen strahlen. Mehr als 40 % der über 50-Jährigen leiden an einer Parodontitis mit flachen Zahnfleischtaschen (4 bis 5 mm), und mehr als 20 % an einer Parodontitis mit tiefen Zahnfleischtaschen (mehr als 6 mm). Mehr als 15 % aller Erwachsenen, also von 50 Millionen Bürgern immerhin 7,5 Millionen, weisen eine fortgeschrittene Parodontitis und damit eine wirklich gebotene Behandlungsbedürftigkeit auf.

Dagegen steht, dass nur ca. eine Million Fälle, also nicht einmal 15 % der an Parodontitis erkrankten Menschen, auf Kasse behandelt werden.

In keinem anderen Fachgebiet bleibt die Kooperation Arzt / Zahnarzt so sehr gefordert und nutzbringend für beide Seiten.

  • An erster Stelle der Morbiditäts- und Mortalitätsstatistiken der Industrieländer stehen Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit atherrosklerotischen Gefäßveränderungen und nachfolgenden thrombo-embolischen Komplikationen. Verschiedene epidemiologische Studien deuten darauf hin, dass die Parodontitis ein unabhängiger Risikofaktor für Atherosklerose ist.
  • Rauchen ist der bedeutenste Risikofaktor für zahlreiche chronische Erkrankungen (kardiovaskuläre Erkrankungen, Erkrankungen der Atemwege, Krebserkrankungen der Lunge, de Mundhöhle, des Kehlkopfs und zahklreiche anderer Organe) und für Parodontitis.
  • Diabetes mellitus wirkt über vergleichbare Pathomechanismen als Risikofaktor (2- bis 5-fach) für die Parodontitis, wobei eine direkte Wechselwirkung zwischen beiden Erkrankungen besteht. Die Parodontitistherapie senkt (kurzfristig) den Hblc-Wert und erleichtert die Diabetes-Einstellung. Gut eingestellte Diabetiker reagieren wie Gesunde auf die Parodontitistherapie. Demgegenüber erhöht die fortschreitende (unbehandelte) Parodontitis die Insulinresistenz.

Beispiele, die aufzeigen, wie Arzt und Zahnarzt in der gemeinsamen Betreuung von Patienten zusammenarbeiten können. Wie sagt die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DGP): „Bei der Parodontitis ist nicht nur das Zahnbett erkrankt, sondern der Patient ist krank.“

Unter den aufgeführten Aspekten kommen der Prävention, der frühzeitigen Diagnostik und der Therapie der Parodontitis sowie dem Vermeiden von Spätfolgen mit hoher Erkrankungsprogression nicht nur aus zahnmedizinischer, sondern auch aus medizinischer und gesundheitsökonomischer Sicht höchste Priorität zu.

Wissenschaftlich befindet sich die Parodontologie an der Schwelle einer Revolution, die Eingang in die Praxen findet, eine neue Grundlage für die Versorgung der Patienten schafft und große Herausforderungen an den Zahnarzt als Behandler stellt. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen, gehört ein besseres Verständnis der Wirkmechanismen zu den wichtigsten Themen der Zukunft. Parodontale Infektionen, die Attachmentverlust, Knochenverlust und systemische Entzündungen verursachen, können bestimmt und das Risikoprofil eines Patienten präzise ermittelt werden. Neue, vielversprechende Wege wurden gefunden, um bei individuellen Prädispositionen durch Interventionsmaßnahmen unterstützend einzugreifen. Mögliche Verbesserungen auf den Gebieten der Chirurgie, der Zellbiologie, der Molekularbiologie, der Gentechnik, der Biomaterialwissenschaft und Bioinformatik sowie des Tissue-Engineering werden zu einer echten Revolution auf dem Gebiet der Rekonstruktion parodontitisbedingter Defekte führen.

Die Parodontologie spielt in der Zahnheilkunde eine besonders wichtige Rolle, weil hier eben die Verantwortung des Zahnarztes als Arzt gefordert ist. Die Parodontitis ist meist keine auf den Zahn-, Mund- und Kieferbereich beschränkte Erkrankung, wie die vielen wissenschaftlichen Studien zeigen. Dies bedeutet einen gewaltigen Aufschwung, nicht nur für die Fachdisziplin Parodontologie, sondern vor allem für die Praxen, die sich verantwortungsbewusst dieser Aufgabe stellen. Sie bietet den Einstieg in eine neue Welt der Medizin für die Praxis.

Dr. med. dent. Wolfgang H. Koch
 

Ganzheitliche ZahnMedizin, Cranio- faziale- Orthopädie, Umwelt-ZahnMedizin und Parodontologie, Dr. Koch & Partner, Herne www.praxis-dr-koch.de, Jameda Profil